Feldherpetologische Beobachtungen am Rande der FlutkatastVerschleppung-und-Aussetzung.htmlAugust 2002

Manuscript bereits veröffentlicht in "DIE EIDECHSE", Jahrgang 14, Heft 2, August 2003, Seite 61-63

Feldherpetologische Beobachtungen am Rande der Flutkatastrophe an der Elbe bei Meißen im August 2002

UWE PROKOPH

Zusammenfassung

Auf der Mole des Winterhafens von Meißen an der Elbe lebte eine relativ individuenstarke Population von Lacerta agilis. Während der Flutkatastrophe im August 2002 wurde die Mole zum größten Teil überflutet. Der Verfasser beobachtete, wie sich die Zauneidechsen auf in der Elbe schwimmendes Treibgut retteten. Etwas 20 Tiere wurden aus ihrer misslichen Lage befreit und in einem nahegelegenen Weinberg ausgesetzt.

Sicher sind die Bilder jener Flutkatastrophe, welche Mitte August 2002 das Leben vieler Menschen in Sachsen veränderte, noch im Gedächtnis. Auch ich gehörte damals mit zu den Fluthelfern an der Elbe.
Mich beschäftigte neben all den anderen Problemen und Schicksalen allerdings auch die Frage, was denn nun aus unserem Würfelnatter-Wiederansiedlungsprojekt (DGHT) wird (SCHMIDT & LENZ 2001). Meine Hoffnung damals war die Tatsache, dass die Würfelnatter als Vertreter der Wassernattern ja perfekt an das Leben an Flusssystemen angepasst ist. Doch in welcher Weise würden die anderen Reptilien im Gebiet die Flutkatastrophe überstehen?
Auf Umwegen machte ich mich mit einem befreundeten Feldherpetologen auf den Weg zum Winterhafen Meißen. Es war eine abenteuerliche Fahrt, auf der uns der alte Land-Rover gute Dienste leistete. Die Infrastruktur war in den Seitentälern der Elbe fast vollständig zerstört.
Bei der Ankunft in der Nähe des Winterhafens von Meißen bot sich uns ein sehr verändertes Landschaftsbild. Sämtliche ufernahen Strukturen, Biotope von Blindschleiche, Zauneidechse, Ringel- und Glattnatter standen unter Wasser (GRUSCHWITZ & LENZ 2002). Das fest eingebaute Metallabweissystem, welches das Abwandern der Würfelnattern auf Radweg und Straße verhindert, hinderte jetzt einige Zauneidechsen und Blindschleichen daran, landwärts zu fliehen. Auf diese Weise kann eine eigentlich lebensrettende Leitvorrichtung, welche dem Reptilienschutz dient, auch zur Todesfalle für andere Arten werden.

Winterhafen von Meißen Winterhafen von Meißen im August 2002
Abb. 1. Der Winterhafen von Meißen mit individuenstarker Zauneidechsenpopulation auf der Hafenmole bei normalem Pegelstand der Elbe.
Abb. 2. Der Winterhafen von Meißen mit fast vollständig überschwemmter Mole im August 2002.

Die Mole des Winterhafens bietet vor allem wärmeliebenden Pflanzen- und Tierarten Standort und Lebensraum (Abb. 1). Dieses alte Bauwerk aus unverfugten Sandsteinquadern zeichnet sich durch nährstoffarmut und Strukturvielfalt aus.
Schon auf früheren Exkursionen fand ich die relativ hohe Dichte der dort lebenden Zauneidechsenpopulation bemerkenswert. Auf diesem schmalen, vom Wasser beiderseits begrenzten Steinriegel war es möglich, in kürzester Zeit 20 bis 30 Zauneidechsen zu sehen.
Im August letzten Jahres war dieser Teil des Hafens fast vollständig überflutet. Nur die Dammkrone ragte aus dem Wasser (Abb. 2). Im Fluss und in Ufernähe waren Unmengen Treibgut in ständiger Bewegung. Beim Absuchen dieser treibenden Baumstämme, Wurzeln, Styroporplatten und Holztafeln mit dem Fernglas entdeckten wir unter anderem auch Zauneidechsen. Es konnte auch beobachtet werden, wie adulte Zauneidechsen schwimmend die Dammkrone des Hafenbeckens verließen, um sich auf schwimmendes Treibgut zu retten. Die "Ratten" verließen also im wahrsten Sinne des Wortes das sinkende Schiff! Beim genaueren Beobachten entdeckten wir mehr und mehr Zauneidechsen auf treibenden Teilen (Abb. 3).

Zauneidechse auf Treibgut gerettete Zauneidechsen
Abb. 3. Zauneidechse auf Treibgut. Meißen im August 2002
Abb. 4. Einige der vom Treibgut beziehungsweise schwimmend beobachteten Zauneidechsen wurden in einem nahegelegenen Weinberg ausgesetzt.

Soweit es die Wathosen und lange Holzstangen erlaubten, gelang es einige Tiere (20) aus ihrer misslichen Lage zu retten und am nahegelegenen Weinberg auszusetzen (Abb. 4).
Für uns waren diese Beobachtungen wie ein offenes Ökologie-Lehrbuch. Ein unfreiwilliger Aufbruch zu neuen Ufern, denn irgendwo landet das Treibgut ja an. Und wenn ein Teil der "Passagiere" die Reise übersteht, können diese Tiere durchaus der Grundstock für eine neue Population sein.
Auch im Zusammenhang mit dem isolierten historischen Vorkommen der Würfelnatter bei Meißen wurde die "Treibguttheorie" als Möglichkeit der Verbreitung genannt. Jenseits aller Vorstellung, habe ich damals darüber gelächelt ...!

Literatur:

GRUSCHWITZ, M. & S. LENZ (2002): Würfelnatter übersteht Jahrtausendflut an der Elbe. - elaphe, Rheinbach, 10(4): 40-44.

SCHMIDT, A.D. & S. LENZ (2001): Bericht zum Stand des Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens "Würfelnatter" der DGHT - 1. Teil: Erprobungsstandort Elbe - elaphe, Rheinbach, 9(3): 60-66.

Verfasser: UWE PROKOPH, Corinthstraße 33, D-01217 Dresden.